Bundessozialgericht: Ein Integrationshelfer für die offene Ganztagsschule als Hilfe zur angemessenen Schulbildung
(aus informiert! Michaeli 2019)
Leistungen der Eingliederungshilfe für angemessene Hilfen zur Schulbildung sind unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern. Anders verhält es sich bei Leistungen der Eingliederungshilfe für den sich häufig anschließenden Besuch eines Hortes. Diese werden nur als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft berücksichtigt und sind somit auch abhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern. Diese rechtliche Differenzierung mit finanziellen Konsequenzen und die damit verbundene Benachteiligung von Kindern mit Behinderung und ihren Familien sorgt zu Recht immer wieder für Unverständnis.
In dem vom Bundessozialgericht (BSG) am 06.12.2018 (Az.: B 8 SO 7/17 R) entschiedenen Fall war streitig, ob es sich bei der erforderlichen Eingliederungshilfe für die Teilnahme am freiwilligen Nachmittagsprogramm einer offenen Ganztagsschule (OGS) um Hilfen für eine angemessene Schulbildung handelt.
Der 2006 mit dem sogenannten Down-Syndrom geborene Kläger nahm im Schuljahr 2013/2014 vormittags am regulären Schulunterricht und nachmittags an der freiwilligen OGS teil. Für den Schulbesuch am Vormittag wurde ein Integrationshelfer vom zuständigen Amt als „Hilfen für eine angemessene Schulbildung“ im Rahmen der Eingliederungshilfe bewilligt. Bei der beantragten Eingliederungshilfe in Form des Integrationshelfers für die Zeit in der OGS am Nachmittag handle es sich jedoch um eine einkommens- und vermögensabhängige Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, so das zuständige Amt. Bei Überschreiten der Freibeträge müssten die Eltern den Integrationshelfer für die Zeit in der OGS aus eigener Tasche zahlen.
Mit dieser Entscheidung war der Kläger nicht einverstanden und erhob Klage.
Während das erstinstanzliche Sozialgericht noch der Rechtsauffassung des Klägers folgte und die Teilnahme an der OGS als eine angemessene Hilfe zur Schulbildung einstufte, hatte die vom zuständigen Amt eingelegte Berufung vor dem Landessozialgericht NRW sogar Erfolg. Die OGS habe primär Betreuungscharakter, so das Landessozialgericht. Die pädagogische Unterstützung stehe nicht im Vordergrund. Dass die Teilnahme an der OGS grundsätzlich für alle Kinder pädagogisch sinnvoll und gerade für den Kläger vor dem Hintergrund einer umfassenden Integration sicherlich auch wünschenswert sei, genüge nicht.
Gegen die Entscheidung vom Landessozialgericht legte der Kläger Revision ein, sodass das Bundessozialgericht sich mit dem Fall befassen musste.
Der Rechtsstreit ist durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts zwar noch nicht beendet und muss nun vom Landessozialgericht noch mal neu bearbeitet werden, das BSG stellte allerdings klar, dass auch ein freiwilliges Nachmittagsangebot in Form der OGS je nach seiner konkreten Ausgestaltung eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung darstellen kann. Das Nachmittagsangebot müsse geeignet und erforderlich sein, den jeweiligen individuellen Eingliederungszweck entsprechend dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf zu erreichen, so das BSG. Es gelte ein individueller und personenzentrierter Maßstab.
Das BSG bezog sich hierbei auch auf die durch das BTHG zum 01.01.2020 eingeführten Regelungen zur Teilhabe an Bildung. In dem § 112 Abs 1 Satz 2 SGB IX (Fassung ab 01.01.2020) wird die freiwillige OGS ausdrücklich als einkommens- und vermögensunabhängige Leistung zur Teilhabe an Bildung genannt.
Die Entscheidung ist zu begrüßen, zeigt allerdings auch, dass ein langer Atem erforderlich ist, um sein Recht durchzusetzen. Es kann aber auch wesentlich einfacher gehen: So gibt es in Brandenburg bereits seit 2014 eine Regelung im Kindertagesstättengesetz (§ 17 Abs. 5 KitaG Brandenburg https://bravors.brandenburg.de/gesetze/kitag#17), wonach auch für Grundschulkinder mit Behinderungen beim Besuch eines Horts nach der Schule Eingliederungshilfe unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern gewährt wird. Die Regelung im KitaG Brandenburg ist damit tatsächlich sogar noch weiter gefasst als der durch das BTHG zum 01.01.2020 eingeführte § 112 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.
Wer Interesse hat, kann die Entscheidung kostenlos online abrufen:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/2018_12_06_B_08_SO_07_17_R.html
(September 2019) RAin Sabine Westermann