Das Behindertentestament
(aus: informiert! Johanni 2021)
Das Behindertentestament ist ein Spezialtestament zugunsten von Menschen mit Behinderung. Viele Betroffene benötigen phasenweise oder zeitlebens Sozialhilfeleistungen. Sobald sie als Sozialhilfeempfänger eine Erbschaft erhalten, ist diese bis auf einen Schonvermögensbetrag für Sozialhilfe einzusetzen. Das Behindertentestament ermöglicht es, den Menschen mit Behinderung Vermögen oberhalb der Schonvermögensgrenze zukommen zu lassen, ohne dass der Sozialhilfeträger den Verbrauch des Erbes verlangen kann. Das Nähere hierzu soll die folgende Darstellung erläutern.
Wann ist ein Spezialtestament für Menschen mit Behinderung sinnvoll?
Erhält ein Mensch mit Behinderung Sozialhilfeleistungen z.B. in Form von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, muss er während des Sozialhilfebezugs zufließendes Vermögen bis auf einen Schonvermögensbetrag in Höhe von derzeit 5.000,00 € einsetzen. Bezieht der Betroffene nur Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB IX, so steht ihm hierfür ein höherer Vermögensfreibetrag zu. Dieser Freibetrag beläuft sich auf 150% der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Das sind im Kalenderjahr 2021 59.220,- €.
Fließt dem Menschen mit Behinderung, der sowohl Eingliederungshilfe als auch Grundsicherung bezieht, eine Erbschaft in Höhe von beispielsweise 100.000,- € zu, dann werden sowohl die Eingliederungshilfe- als auch die Sozialhilfeleistungen eingestellt. Wenn er seine Erbschaft bis auf einen Betrag von aktuell 59.220,- € verbraucht hat, bekommt er wieder Eingliederungshilfeleistungen. Er muss aber sein Vermögen weiter verbrauchen, da er erst ab dem Erreichen der Schonvermögensgrenze von 5.000,- € wieder Grundsicherung vom Sozialamt bekommt.
Das Behindertentestament ist somit zugunsten von Menschen mit Behinderung sinnvoll, die Eingliederungshilfe und/oder Grundsicherung beziehen. Es verhindert den dargestellten Vermögensverbrauch. Das zufließende Erbe steht dem Menschen mit Behinderung für Leistungen oberhalb des Sozialhilfeniveaus zur Verfügung.
Wie ist das Behindertentestament zu gestalten?
Der Erblasser, der das Testament erstellt, muss den Angehörigen mit Behinderung als sog. nicht befreiten Vorerben einsetzen. Dieser muss einen Erbanteil bekommen, der mindestens den Pflichtteil umfasst. Im Testament ist zu regeln, für welche Zwecke das Erbe eingesetzt werden darf (bspw. Reisen, Mobiliar, Kleidung, Hilfsmittel, Therapien etc.). Dem Vorerben muss ein Testamentsvollstrecker an die Seite gestellt werden, der das ererbte Vermögen verwaltet. Er hat es für die vom Erblasser vorgegebenen Zwecke zugunsten des Vorerben einzusetzen. Zusätzlich ist mindestens ein Nacherbe einzusetzen. Der Nacherbe erbt, wenn der Vorerbe mit Behinderung verstirbt. Sinnvoll ist es, einen Ersatztestamentsvollstrecker im Testament zu benennen für den Fall, dass der Testamentsvollstrecker bei Eintritt des Erbfalls das Amt nicht antreten kann, z.B. weil er erkrankt oder bereits vorverstorben ist.
Die dargestellte Konstruktion des Behindertentestaments führt dazu, dass der Vorerbe zwar keine direkte Zugriffsmöglichkeit auf den Erbteil hat, das Vermögen aber zur Verbesserung seines Lebensstandards eingesetzt werden kann. Der Bundesgerichtshof entscheidet seit mehr als 20 Jahren in ständiger Rechtsprechung, dass ein solches Spezialtestament zugunsten eines Vorerben mit Behinderung zulässig ist.
Welche Pflichten des Testamentsvollstreckers sind in das Testament aufzunehmen?
Im Testament muss der Testamentsvollstrecker dazu verpflichtet werden, das Erbe bzw. die Erträge aus der Erbschaft für den Vorerben zu verwenden und ihm damit ein Leben oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu sichern. Er muss ferner dazu verpflichtet werden, den Erbteil nur für Ausgaben zu verwenden, die dem Vorerben mit Behinderung zugutekommen und seine Leistungen einzustellen, sobald der Sozialhilfeträger eine Anrechnung auf Sozialhilfeleistungen vornimmt. Es ist dem Testamentsvollstrecker untersagt, den Sozialhilfeträger durch Zahlungen aus dem Erbe zu entlasten.
Darf der gesetzliche Betreuer des Vorerben mit Behinderung zugleich dessen Testamentsvollstrecker sein?
Das ist grundsätzlich möglich. Wenn bei dem gesetzlichen Betreuer, der auch Testamentsvollstrecker ist, eine Interessenkollision vorliegt, weil er bspw. auch Miterbe ist, kann das Betreuungsgericht für die Verwaltung des Erbanteils zum Beispiel einen Ergänzungsbetreuer bestellen oder den Aufgabenkreis „Vermögenssorge“ auf einen anderen Betreuer übertragen. Der weitere Betreuer soll dafür Sorge tragen, dass die Rechte des Vorerben mit Behinderung in der Erbangelegenheit gewahrt werden. Dafür hat der Betreuer den Testamentsvollstrecker zu kontrollieren.
Was müssen Ehegatten beachten, die ein gemeinschaftliches Testament zugunsten eines Vorerben mit Behinderung erstellen wollen?
Bei einem gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten muss beachtet werden, dass der Vorerbe mit Behinderung bei jedem Erbgang mindestens ein Erbe in Höhe seines Pflichtteils erhält. Das bedeutet, dass bei Versterben des ersten der beiden Ehegatten auch der Vorerbe mit Behinderung einen Erbanteil zu bekommen hat.
Bei dem häufig verwendeten „Berliner Testament“ beerben sich die Eheleute zuerst gegenseitig und erst nach Versterben des letzten Ehegatten erhalten auch die Kinder als Schlusserben ihre Erbteile. Im ersten Erbfall, also wenn der erste Ehegatte verstirbt, sind die Kinder damit faktisch enterbt. Das löst gesetzlich geregelte Pflichtteilsansprüche aus. Hier muss beim Behindertentestament bereits für den ersten Erbgang ein Erbanteil für das Kind mit Behinderung mit vorgesehen werden. Wird dies im Testament nicht so geregelt, macht der Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht für das Kind mit Behinderung Pflichtteilsansprüche gegenüber dem überlebenden Elternteil geltend.
Welche Form muss das Testament haben?
Nach deutschem Erbrecht kann ein Testament zur Niederschrift bei einem Notar als sog. öffentliches Testament errichtet werden. Alternativ können die Erblasser handschriftlich ein eigenhändiges Testament erstellen. Dafür muss das Testament vollständig mit der Hand geschrieben und mit Ort, Datum und Unterschrift versehen werden. Wichtig ist, dass die Personen, die ein Testament aufsetzen, in jedem Fall testierfähig sind. Das ist der Fall, wenn die Erblasser bei Erstellung des Testaments voll geschäftsfähig waren. Es ist nicht erforderlich, ein Testament notariell beurkunden zu lassen. Ein notarielles Testament kann aber bspw. sinnvoll sein, wenn der Erblasser körperlich nicht mehr in der Lage dazu ist, einen langen Testamentstext von Hand abzuschreiben.
Fazit
Das Behindertentestament ist die einzige Möglichkeit, einem auf Sozialhilfe angewiesenen Menschen mit Behinderung eine Erbschaft zukommen zu lassen, ohne dass das Sozialamt darauf zugreifen kann. Allerdings dürfte aus dem Vorstehenden deutlich geworden sein, dass die Erstellung eines solchen Testaments komplex ist und hier von den Erblassern Fehler gemacht werden können. Für dessen rechtswirksame Erstellung ist es daher angeraten, eine auf diese Testamentsform spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei zu beauftragen.
(Mai 2021)
Rechtsanwältin Barbara Hoofe
Rechtsanwältin Christine Vandrey
www.vandrey-hoofe.de
Rechtsratgeber des bvkm: https://bvkm.de/recht-ratgeber/
„Vererben zugunsten behinderter Menschen“ sowie „Der Erbfall – Was ist zu tun?“