Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags wegen dem Fehlverhalten des Lebensgefährten der rechtlichen Betreuerin?

(aus informiert! Ostern 2020)

Streitig ist immer wieder unter welchen Umständen ein Wohn- und Betreuungsvertrag seitens des Leistungserbringers gekündigt werden kann. Besonders für die Bewohner*innen mit Assistenzbedarf hat ein Umzug zur Folge, dass sich das gesamte Lebensumfeld verändert. An eine wirksame Kündigung durch den Leistungserbringer sind deswegen zu Recht hohe Anforderungen zu stellen.

Das OLG Frankfurt (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 29.05.2019, 2 U 121 / 18) bejahte in einer Entscheidung die Wirksamkeit der Kündigung eines Wohn- und Betreuungsvertrags durch den Leistungserbringer. Hintergrund war, dass es zwischen der rechtlichen Betreuerin der Bewohnerin, die gleichzeitig deren Mutter ist, deren Lebensgefährten und dem Leistungserbringer bereits kurz nach Vertragsschluss zu Differenzen kam. Der Lebensgefährte besuchte regelmäßig die Tochter mit Einverständnis und auf Wunsch der Betreuerin in der besonderen Wohnform. Bei diesen Besuchen verhielt sich der Lebensgefährte gegenüber den Mitarbeiter*innen des Leistungserbringers allerdings unsachgemäß und wurde laut. Er erteilte den Mitarbeiter*innen Anweisungen, wollte diese maßregeln oder rempelte sie im Vorbeigehen an. Auch Bezeichnungen „Idioten“ und „Saftladen“ wurden gegenüber den Mitarbeiter*innen verwendet. Einige Mitarbeiter*innen fühlten sich deswegen bedroht. Schlichtungsgespräche zwischen den Beteiligten führten zu keiner Einigung und wurden von der Betreuerin und dem Lebensgefährten teilweise nicht wahrgenommen.

Die Betreuerin sei verpflichtet gewesen, ihren Lebensgefährten zu einem sachlichen Umgang mit den Mitarbeiter*innen des Leistungserbringers anzuhalten, so das Gericht. Dies hat die Betreuerin nicht gemacht. Dieses Fehlverhalten rechnet das Gericht wiederum der Bewohner*in zu. Deutlich betont das Gericht jedoch auch, dass die Betreuerin sich selbstverständlich beschweren kann und/oder sachlich Kritik gegenüber dem Leistungserbringer üben kann.

Bei der Interessenabwägung, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht, berücksichtigte das Gericht den gravierenden Einschnitt, den ein Umzug für die Bewohnerin bedeuten würde. Andererseits musste auch berücksichtigt werden, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Betreuerin und dem Leistungserbringer und dessen Mitarbeiter*innen zerstört war. Auch die Betreuung und Pflege der Bewohner*innen setze ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen den Mitarbeiter*innen und den Bezugspersonen der Bewohner*innen voraus. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass in dem vorliegenden Fall das Vertrauen derart gestört sei und keine Abhilfe durch Gespräche oder eine Mediation mehr möglich sei. Die Kündigung sei wirksam. Der Bewohnerin wurde eine sieben monatige Räumungsfrist eingeräumt, damit ein Platz in einer neuen besonderen Wohnform gefunden werden kann.

Das Urteil verdeutlicht, dass rechtliche Betreuer*innen sehr wohl das Recht haben, sich gegenüber Leistungserbringern für die Rechte ihrer Betreuten einzusetzen. Deutlich wird aber auch, dass Leistungserbringer gravierendes Fehlverhalten nicht tolerieren müssen und Betreuten das Fehlverhalten der Betreuer*innen sogar zugerechnet werden kann.

Der Streit geht übrigens weiter, da die Betreuerin als Vertreterin der Bewohnerin jetzt den Bundesgerichtshof angerufen hat. Geschädigte der gesamten streitigen Auseinandersetzung dürfte in erster Linie die Bewohnerin sein.

Wer Interesse hat, kann die Entscheidung kostenlos online abrufen unter:
bit.ly/hessen-urteil-kuendigung-wbv

(Februar 2020) RAin Sabine Westermann