Nachgefragt: Anspruch auf Verhinderungspflege/Ersatzpflege zur Teilnahme an einer Ferienfreizeit?
(aus informiert! Ostern 2020)
Frage:
Unser Sohn lebt in einer besonderen Wohnform und hat den Pflegegrad 3. Er nimmt jährlich an einer Ferienfreizeit für Menschen mit Assistenzbedarf teil. Bisher hat er hierfür immer von der Pflegekasse Geld für die Verhinderungspflege erhalten und damit u.a. die Freizeit finanziert. Jetzt hat die Pflegekasse uns überraschend mitgeteilt, dass die Kostenübernahme für eine Ferienfreizeit im Rahmen der Verhinderungspflege zukünftig nicht mehr möglich sei. Die Pflege sei für diese Zeit in der besonderen Wohnform möglich, deswegen bestehe kein Anspruch auf Verhinderungspflege. Kann die Pflegekasse die Leistung für Verhinderungspflege für eine Ferienfreizeit für die Zukunft so einfach ablehnen?
Antwort:
Leider ist in diesem Fall die Ablehnung der Pflegekasse nicht zu beanstanden.
Mit dem Problem haben sich bereits einige Sozialgerichte (SG Detmold, Urteil vom 10. August 2018 – S 6 P 144/17; SG Karlsruhe, Urteil vom 29. März 2017 – S 14 P 4109/15) beschäftigt und einen Anspruch auf Verhinderungspflege für eine Ferienfreizeit von Menschen, die in einer besonderen Wohnform leben, abgelehnt. Dies mag auf den ersten Blick willkürlich wirken, gerade wenn die Pflegekasse in der Vergangenheit (ggf. über Jahre) gezahlt hat. Werden die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege näher betrachtet, wird auch die Ablehnung nachvollziehbarer.
Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) setzt nämlich voraus, dass
- mindestens ein Pflegegrad 2 besteht,
- die Pflege erfolgt durch eine nichtprofessionelle Pflegeperson (in der Regel Angehörige),
- die Pflege erfolgt seit mindestens sechs Monate in häuslicher Umgebung und
- die Pflegeperson ist wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert.
Liegen diese Voraussetzungen vor, können nachgewiesene Kosten bis zu 1 612,00 EUR für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr von der Pflegekasse übernommen werden.
Sinn und Zweck der Verhinderungspflege ist, dass auch die Pflegeperson Erholung benötigt oder erkranken kann, während gleichzeitig die Pflege sichergestellt sein muss.
Bei Menschen mit Assistenzbedarf, die in einer besonderen Wohnform leben, fehlt es an einer Verhinderung der Pflegeperson, weil die Pflege in der besonderen Wohnform in Anspruch genommen werden kann. So sieht es zumindest die Rechtsprechung.
Berufen werden kann sich auch nicht darauf, dass die Pflegekasse in der Vergangenheit ggf. auch über Jahre die Verhinderungspflege gezahlt hat, da die Leistung zu Unrecht erfolgte. Auch Ämtern und Sozialversicherungsträgern unterlaufen Fehler zu Gunsten von Leistungsberechtigten.
Menschen mit Assistenzbedarf, die nicht in einer besonderen Wohnform leben und Pflegegeld erhalten, haben hingegen die Möglichkeit, auch für eine Ferienfreizeit Verhinderungspflege in Anspruch zu nehmen.
Hinweis: Menschen mit Assistenzbedarf, die in einer besonderen Wohnform leben, und bisher Verhinderungspflege für Freizeiten erhalten haben, können auch weiterhin versuchen dies gegenüber der Pflegekasse geltend zu machen. Im Fall einer Ablehnung lohnt es sich allerdings nicht, den Rechtsweg zu bestreiten.
Die zitierten Entscheidungen der Sozialgerichte können unter Angabe des Aktenzeichens kostenlos abgerufen werden unter: https://sozialgerichtsbarkeit.de > Entscheidungen
(Februar 2020) RAin Sabine Westermann