Nachgefragt: Höhere Zuzahlungsgrenze für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung seit dem Wohngeldbezug?
(aus: informiert! Weihnachten 2020)
Frage:
Unser Sohn mit Assistenzbedarf ist bei der Techniker Krankenkasse (TK) versichert. Er erhält seit mehreren Jahren ein Werkstatteinkommen von brutto 140,00 EUR und eine Erwerbsminderungsrente von 950,00 EUR im Monat. Er lebt in einer besonderen Wohnform. Bis zum 31. 12. 2019 hat er ergänzend zu seinem Einkommen Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialamt erhalten. Seit dem 1. 1. 2020 bezieht unser Sohn (bedingt durch die Trennung der Leistungen nach dem BTHG) ergänzend zum Werkstattlohn und zur Erwerbsminderungsrente 130,00 EUR Wohngeld monatlich.
Überraschend teilte uns die TK jetzt mit, dass bei unserem Sohn jetzt die 1 %ige Zuzahlungsgrenze anders berechnet werde. Für 2019 wird noch ein Gesamteinkommen über 5088,00 EUR zugrunde gelegt und die Zuzahlungsgrenze beträgt 50,88 EUR. Für 2020 wird hingegen ein Gesamteinkommen über 13 080,00 EUR zugrunde gelegt und die Zuzahlungsgrenze beträgt 130,80 EUR.
Ist die Berechnung der Krankenkasse zutreffend und wieso wird die Zuzahlungsgrenze ab 2020 anders berechnet? Hat dies was mit dem BTHG zu tun?
Antwort:
Leider dürfte die Berechnung der TK zutreffend sein. Dies hat folgenden Hintergrund. Die Zuzahlungsgrenze für Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse (der Fachausdruck hierfür lautet Belastungsgrenze und ist in § 62 SGB V geregelt) wird anhand des Jahresbruttoeinkommens berechnet, ggf. abzüglich Freibeträge für Ehepartner*innen und/oder Kinder. Leistungen wie Wohngeld werden dabei nicht als Einkommen berücksichtigt.
Vergünstigungen für die Berechnung der Zuzahlungsgrenze bestehen nur für Menschen, die Leistungen nach dem SGB II (Hartz-IV) oder SGB XII (Sozialhilfe, Grundsicherung) empfangen. Für diese Gruppe wird die Zuzahlungsgrenze anhand der Regelbedarfsstufe 1 (in 2019 = 424,00 EUR, in 2020 = 432,00 EUR) 12 berechnet.
Ihr Sohn hat deswegen bis zum 31. 12. 2019 als Sozialhilfeempfänger nach SGB XII von der Begünstigung profitiert. Für Wohngeldempfänger gilt diese Begünstigung hingegen nicht und die Zuzahlungsgrenze wird nun anhand des Bruttoeinkommens aus Werkstattlohn und Erwerbsminderungsrente berechnet. Vorliegend also (950,00 EUR + 140,00 EUR) 12 = 13.080,00 EUR.
Hinweis:
Es ist umstritten, ob der Sozialhilfeträger als Alternative zur Grundsicherung auf die vorrangige Inanspruchnahme von Wohngeld verweisen kann. Aktuell ist hierzu bei dem Bundessozialgericht ein Verfahren anhängig zum Aktenzeichen B 8 SO 2/20 R. Mit einer Entscheidung kann frühestens im Jahr 2021 gerechnet werden. Es kann in diesem Zusammenhang nämlich die etwas absurde Situation entstehen, dass in Einzelfällen Leistungsberechtigte, die Wohngeld beziehen, dadurch finanziell insgesamt schlechter gestellt werden, als wenn sie Grundsicherung nach dem SGB XII beziehen würden. Beispiele dafür sind die Zuzahlungsgrenze nach § 62 SGB V, Vergünstigungen für Eintrittspreise, Vergünstigungen im ÖPNV oder die Befreiung von den Rundfunkbeiträgen. Durch die sogenannte Trennung der Leistungen im Rahmen der Umsetzung des BTHG müssen jetzt auch Menschen mit Assistenzbedarf bzw. deren rechtliche Betreuer*innen sich mit diesen Spitzfindigkeiten des Sozialrechts vermehrt auseinandersetzen.
(November 2020) RAin Sabine Westerma20nn