Sozialleistungsträger müssen richtig beraten und informieren

(aus informiert! Ostern 2019)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Entscheidung vom 02.08.2018, Az.: III ZR 466/16, klargestellt, dass ein Sozialleistungsträger haften muss, wenn aufgrund seiner fehlerhaften Aufklärung und/oder Beratung ein Schaden bei dem Leistungsberechtigten entsteht.

Hintergrund

Geklagt hatte ein Mensch mit sogenannter geistiger Behinderung und einem Grad der Behinderung von 100. Die ehrenamtliche Betreuerin (Mutter des Klägers), hatte 2004 für den Kläger Grundsicherung beim Sozialamt beantragt. In dem Antragsformular der Grundsicherung teilte die Betreuerin mit, dass kein Rentenantrag gestellt wurde. Anschließend wurde Grundsicherung gewährt. 2011 wurde die Betreuerin von einer neuen Sachbearbeiterin im Sozialamt darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gegenüber der Rentenversicherung hätte. Auf Antrag des Klägers gewährte die Rentenversicherung eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung ab August 2011. Außerdem wies die Rentenversicherung darauf hin, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Rente schon im November 2004 erfüllt hätte.

Das Problem bestand nun darin, dass die Leistungen der Rentenversicherung im vorliegenden Fall für den Kläger finanziell vorteilhafter als die Leistungen der Grundsicherung gewesen wären. Der Kläger forderte deswegen Ersatz der Differenz zwischen der gewährten Grundsicherung und dem entgangenen Rentenanspruch als Schadensersatz. Denn auch der Staat haftet für Schäden, die den Bürgern dadurch entstehen, wenn es in Behörden aber auch bei Sozialleistungsträgern zu Fehlern kommt, § 839 BGB (sogenannter Amtshaftungsanspruch).

Bei Sozialleistungsträgern häufig unbekannt – der Anspruch auf Beratung nach § 14 SGB I

Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung ist der § 14 SGB I. Diese Regelung gewährt jedem einen Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach den Sozialgesetzbüchern (SGB I – XII). Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, wie Sozialamt, Rentenversicherung, Krankenversicherung usw. Leider ist diese Regelung bei vielen Sozialleistungsträgern unbekannt, obwohl sie bereits 1976 mit dem SGB I eingeführt wurde.

Der BGH selber stuft das Sozialrecht als kompliziert ein, gerade wegen der für den juristischen Laien kaum noch zu überschauenden Regelungen und deren Verknüpfungen untereinander. Nach Auffassung des BGH ist eine umfassende und richtige Beratung des Leistungsberechtigten auch Grundlage für ein Funktionieren des sozialen Leistungssystems. Die Sozialleistungsträger müssen dabei nicht nur auf Nachfrage der Leistungsberechtigten tätig werden. Vielmehr sind die Leistungsträger dazu verpflichtet, das Anliegen der Leistungsberechtigten verständnisvoll zu fördern und auf mögliche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen. Denn gezielte Fragen setzen häufig bereits sozialrechtliche Kenntnisse voraus, die der Leistungsberechtigte nicht hat.

Sind Rechtsgebiete miteinander verknüpft, wie dies z. B. bei Grundsicherung und Renten häufig der Fall ist, muss der Sozialleistungsträger sogar auf Leistungen der anderen Sozialversicherungsträger hinweisen, die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.

Fazit

Die Entscheidung des BGH ist in dem immer dichter werdenden Dschungel des Sozialrechts sehr zu begrüßen. Inwiefern sich Beratung durch die Sozialleistungsträger bedingt durch die Entscheidung des BGH qualitativ verbessern wird, darf allerdings bezweifelt werden. Personalmangel und/oder Arbeitsüberlastung sind jedenfalls keine geeigneten Ausreden, um eine falsche Beratung zu entschuldigen.

Kommt es aufgrund einer falschen Beratung oder unterlassenen Information durch einen Sozialleistungsträger zu einem Schaden, wird die Entscheidung des BGH die Durchsetzung des Schadensersatzes vermutlich erleichtern.

Übrigens: Im Rahmen des BTHG ist der Gesetzgeber sogar noch weiter gegangen und hat die Träger der Eingliederungshilfe ab 01.01.2020 nicht zur Beratung, sondern auch zur Unterstützung der Leistungsberechtigten verpflichtet.

Dennoch sollten Leistungsberechtigte sich nicht auf die staatliche Unterstützung allein verlassen, sondern sich nach Möglichkeit selbst aus anderen Quellen informieren, wie z. B. die BTHG-Info Serie von Anthropoi Selbsthilfe (https://anthropoi-selbsthilfe.de/service/bundesteilhabegesetz/).

Wer Interesse hat, kann die Entscheidung kostenlos online abrufen: https://www.bundesgerichtshof.de > Entscheidungen (In der Datenbank das Aktenzeichen III ZR 466/16 eingeben).