In unserem Newsletter vom 21.12.2021 veröffentlichten wir eine Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, in der er sich für eine allgemeine Impfpflicht aussprach, und schrieben:
„…Der Vorstand von Anthropoi Selbsthilfe unterstützt die Forderungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ausdrücklich und spricht sich ebenfalls für eine allgemeine Impfpflicht aus. Die bereits beschlossene Teil-Impfpflicht unter anderem für Einrichtungen der Eingliederungshilfe sieht er als ersten Schritt hin zu einer solchen allgemeinen Impfpflicht. Eine alleinige Teil-Impfpflicht wie für bestimmte Einrichtungen beschlossen lehnt er als nicht zielführend ab.“
Inzwischen sind mögliche Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 15.03.2022 in vielfältiger Form von Medien aufgegriffen worden, verschiedene Verbände haben Stellung bezogen, Gesundheitsämter eingeräumt, überfordert zu sein usw. Auch wurden wir vielfach von Angehörigen auf das Thema angesprochen.
Dies hat den Vorstand von Anthropoi Selbsthilfe bewogen, eine eigene Stellungnahme abzugeben: Sie soll Ihnen bei möglichen Problemen und Diskussionen als Argumentationshilfe und Unterstützung dienen.
Forderungen an die Behörden / die Politik
zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht
Derzeitige Situation von Menschen mit Assistenzbedarf in der
Corona-Pandemie
- In der Corona-Pandemie gab und gibt es für Menschen mit Assistenzbedarf größere Einschränkungen als für andere: so bestehen seit Beginn der Pandemie strikte Kontaktbeschränkungen innerhalb der besonderen Wohnformen und Menschen mit Assistenzbedarf können vielfach aufgrund der Pandemie-Verordnungen nicht mehr ihrer gewohnten Arbeit in den WfbMs nachgehen.
- Der seit langem bestehende Fachkräfte- und Personalmangel in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe (ähnlich wie in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern) führt durch Corona-bedingte Ausfälle der Mitarbeitenden zu weiteren Einschränkungen der zur Verfügung stehenden Assistenzleistungen bis hin zur Unterversorgung.
- Das durch die UN-Behindertenrechtskonvention und das SGB IX verbriefte Recht auf Teilhabe der Menschen mit Assistenzbedarf in der Gesellschaft ist seit Beginn der Corona-Pandemie praktisch ausgesetzt und kann allenfalls unzureichend wahrgenommen werden.
Zu erwartende Auswirkungen der Omikron-Variante und der einrichtungsbezogenen Impfpflicht
- Bereits die Omikron-Variante lässt deutlich stärkere Ausfälle von Mitarbeitenden durch Krankheit und/oder Quarantäne in den nächsten Wochen und Monaten erwarten. Damit verbunden ist die konkrete Gefahr, dass Menschen mit Assistenzbedarf nicht mehr die erforderlichen Assistenzleistungen erhalten und weiter in ihrer Teilhabe eingeschränkt werden.
- Die geplante Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht droht den bestehenden Fachkräfte- und Personalmangel weiter zu verschärfen: Mögliche Betretungs- und Tätigkeitsverbote gegenüber ungeimpften Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe können zusätzlich dazu führen, dass Menschen mit Assistenzbedarf die ihnen zustehenden und existenziell notwendigen Assistenz- und Versorgungsleistungen nur in zu geringem Umfang oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Nicht ausgeschlossen werden kann die Schließung von einzelnen Gruppen oder der gesamten Wohnform.
Forderungen an die Behörden / die Politik zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht
- Mögliche Probleme bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht dürfen nicht zulasten von Menschen mit Assistenzbedarf gehen. Die erforderlichen Assistenzleistungen müssen sichergestellt sein. Weitere Einschränkung von Teilhaberechten bis hin zu einem drohenden Verlust ihres Zuhauses sind unbedingt zu vermeiden.
- Bei beabsichtigten Betretungs- bzw. Tätigkeitsverboten sind daher von den zuständigen Behörden immer zwingend auch die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die Rechte und Bedürfnisse der betroffenen Menschen mit Assistenzbedarf zu berücksichtigen.
Berlin, 4. Februar 2022
Der Vorstand von Anthropoi Selbsthilfe
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