(aus: informiert! Ostern 2021)

Wie beginnt man einen Beitrag über Patientenverfügungen für Menschen mit Assistenzbedarf?

Auch ohne einen solchen Bedarf fällt die Beschäftigung mit diesem Thema nicht immer leicht. Gedanken an Ferien, Feiern oder einfach den endlich wieder unbeschwerten Umgang mit lieben Menschen nach der langen Zeit der Beschränkung sind sicherlich verlockender und leichter zuzulassen.

Dennoch möchte ich den Versuch der Werbung für eine solche Verfügung unternehmen. Denn tatsächlich ist sie die Ausprägung sehr schöner und wichtiger Dinge wie der Selbstbestimmung, der Inklusion und der Würde.

Bei der Patientenverfügung geht es um nichts anderes, als einen bestimmten Abschnitt des irdischen Lebens und auch den Verbleib der körperlichen Hülle so gut es eben geht, nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Wenn ich meinen Willen insofern nicht mehr äußern kann, soll das gelten, was ich in der Patientenverfügung festgeschrieben habe. Ich kann Anweisungen zu bestimmten medizinischen Maßnahmen geben, aber auch verfügen, dass ich spirituellen Beistand wünsche und am liebsten in meiner Wohngruppe sterben möchte. Mögen sich diese Vorstellungen im Laufe der Zeit ändern, so kann auch die Verfügung jederzeit entsprechend angepasst werden.

Die gesetzliche Grundlage für eine solche Verfügung findet sich in § 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, BGB (https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1901a.html). Die dort genannten Voraussetzungen für eine wirksame Patientenverfügung sind kurz gefasst die Volljährigkeit, die Einwilligungsfähigkeit, die Schriftform, und schließlich die Unterschrift der verfügenden Person.

Der Schwierigkeit mit der eigenhändigen Unterschrift, etwa aufgrund körperlicher Einschränkungen kann durch eine notarielle Beurkundung (§ 25 BeurkG) begegnet werden. Die Schriftlichkeit stellt aufgrund der Vielzahl von hervorragenden Vordrucken keine Schwierigkeit dar. Hier kann der Verfügende durch Ankreuzen (Multiple Choice) wirksam auswählen, was wichtig und gewünscht ist. Hier gibt es sehr wortreiche Vordrucke wie beispielsweise den des bayrischen Staatsministeriums der Justiz mit dem wenig einladenden Titel „Vorsorge bei Unfall Krankheit Alter“(Verlag C.H.Beck 5,90 €) oder sehr schön bebildert und in einfacher Sprache einen Vordruck vom Förderverein im LVR-Verbund HPH unter www.bonn-lighthouse.de für unter EUR 4,00 in zwei verschiedenen Versionen für unterschiedlichen Umfang des Assistenzbedarfs.

Die größte Herausforderung stellt wohl die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des verfügenden Menschen mit Assistenzbedarf dar.

Denn mit den Verfügungen über gewünschte oder auch nicht gewünschte medizinische Maßnahmen erkläre ich meine Einwilligung in die Durchführung oder den Verzicht auf einen möglichen Behandlungserfolg. Werden starke, das Leben verkürzende Schmerzmittel verabreicht, obwohl ich dies in meiner Patientenverfügung ausdrücklich ausgeschlossen habe, so stellt die Gabe dieser Medikamente eine Körperverletzung oder gar Vergiftung durch das medizinische Personal dar. Wird trotz Bedarf nicht beatmet, obwohl ich dies ausdrücklich gewünscht habe, ist eventuell ein Tötungsdelikt, in jedem Fall aber eine unterlassene Hilfeleistung im Sinne des Strafgesetzbuches verwirklicht.

Die Patientenverfügung ist also in ihrem Kern eine Manifestation des Patientenwillens, der dem ärztlichen Personal Entscheidungen im Sinne des verfügenden Menschen abnimmt und es damit entlastet.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 28.11.1957 (4 Str 525/57) Folgendes festgestellt:

„Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung, Tragweite der ärztlichen Maßnahme erfassen kann.“

Hier kommt es nicht etwa auf die Geschäftsfähigkeit der verfügenden Person an, sondern auf ihre Fähigkeit, die Komplexität der Durchführung einer medizinischen Maßnahme wie zum Beispiel einer Schmerzbehandlung oder deren Unterlassen konkret zu erfassen. Diese Fähigkeit haben sehr viele Menschen mit Assistenzbedarf uneingeschränkt, viele Menschen ohne diesen Bedarf aber nicht. Die Frage nach dem Vorhandensein einer solchen Fähigkeit ist eine medizinische Frage und sollte mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten besprochen werde. Die Frage lohnt sich regelmäßig, weil wir oft genug dazu neigen, unsere Mitmenschen mit Assistenzbedarf zu unterschätzen.

Eine meiner Mandantinnen mit von Geburt an starken kognitiven Einschränkungen hat mir sehr deutlich und rechtlich belastbar erklärt, dass sie beim Sterben keine Schmerzen und vor allem keinen Durst haben will. Bei Schwierigkeiten mit der Atmung soll man ihr helfen, denn keine Luft zu bekommen, sei sehr unangenehm. Davon träume sie manchmal und werde dann wach. Die Ärzte sollen sie gehen lassen, wenn sie nicht mehr zu Bewusstsein kommen kann. Wo sie stirbt, sei nicht so wichtig, wenn es nur möglichst gemütlich sei. Sie will ihre Organe behalten und nicht verbrannt werden, weil sie ganz bleiben will. Sie will in das gleiche Grab wie ihre Schwester und es soll Käsebrötchen und Kaffee bei ihrer Beerdigung geben. Wenn möglich soll das Lied „Dance Monkey“ von „Tones and I“ gespielt werden und die Gäste sollen lustige Geschichten aus ihrem Leben erzählen.

Auch wenn es sich bei diesem Beispiel zum Zwecke der Anonymisierung um ein Medley aus verschiedenen Verfügungen handelt, haben mich Menschen mit Assistenzbedarf regelmäßig mit ihren klaren Vorstellungen und Wünschen für diesen Abschnitt ihres Lebens überrascht.

Es gilt stets nur das Original der Patientenverfügung. Es können aber unbegrenzt viele Kopien gefertigt werden, die sodann eigenhändig unterschrieben werden müssen. Durch die Unterschrift wird jede Kopie zu einem weiteren Original. Alternativ kann die Patientenverfügung auch bei einem Notariat beurkundet werden. Das bietet gegenüber der mit einer Formularvorlage erstellten Patientenverfügung keinerlei rechtlichen Vorteil. Hier hat zwar der Notar die Schreibarbeit, leider aber auch einen Gebührenanspruch. Im Falle der Beurkundung durch den Notar können unbegrenzt viele Ausfertigungen erstellt werden, die ebenfalls einzeln zu beglaubigen, leider aber auch zu bezahlen sind.

Es empfiehlt sich, die Patientenverfügung im Original in der Einrichtung, beim Hausarzt und bei regelmäßigen Klinikaufenthalten in der Patientenakte zu belassen. Es empfiehlt sich ferner nachzuhalten, wem eine Verfügung ausgehändigt wurde. Denn im Falle einer jederzeit möglichen Änderung müssen natürlich alle alten Verfügungen wieder eingesammelt werden, damit sich das medizinische Personal und die komplementären Dienste auch nur noch an die neue Verfügung halten.

Schließlich besteht die lohnende Möglichkeit, die Patientenverfügung, ebenso wie eine Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung im „Zentralen Vorsorgeregister“ der Bundesnotarkammer sichern zu lassen. Dieses Register kann von jeder Ärztin oder Arzt eingesehen werden. Die Anfrage wird immer mehr zur Routine, auch und gerade in medizinischen Notfällen.

Selbst für den Fall, dass Wünsche oder Vorstellungen der Menschen mit Assistenzbedarf nicht umzusetzen, oder die Verfügung mangels Einwilligungsfähigkeit im Ergebnis nicht wirksam sein sollten, lohnt sich die Beschäftigung mit diesem Thema für alle Beteiligten.

Denn unsere Mitmenschen mit Assistenzbedarf erfahren, dass ihre Gedanken und Wünsche, ihre Sorgen und Fragen auch bei diesem wichtigen Thema im Mittelpunkt stehen und entsprechende Berücksichtigung finden werden.

Angehörige und Freunde, komplementäre Dienste und das medizinische Personal sind in Zeiten des Abschieds erfahrungsgemäß sehr dankbar und beruhigt, wenn sie eine Vorstellung davon haben, was den scheidenden Mitmenschen im Hinblick auf diesen Lebensabschnitt bewegte. Jede von der scheidenden Person bereits beantwortete Frage macht es den Menschen, die noch etwas verweilen, ein wenig leichter.

(Februar 2021) Rechtsanwalt Ralf Gorski, Euskirchen.
Er hat selbst eine Schwester, die in der Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof lebt.